Making auf YouTube: Crappy Machines, Maker Faire und Problemlösungs-Spirit
Making, Hacking, Tüfteln und DIY. Die Makingszene ist riesig und vielfältig. Ich möchte mich dem annähern, aber wo fange ich an? YouTube, sagt die Online-Redakteurin und Video-Enthusiastin in mir.
Über YouTube hatte ich auch meine erste „Begegnung“ mit einer Person aus der Makingszene. Es war eine Folge von The Late Show mit Showmaster Stephen Colbert aus dem Jahr 2016. Eine Gästin – mir damals unbekannt – brachte einen türkisfarbenen Helm mit in die Sendung. Auf der Vorderseite war eine knallgelbe Zahnbürste befestigt. Etwas ängstlich schaute Colbert drein, als sie ihm den Helm aufsetzte und die Zahnbürste vor seinem Mund platzierte. Dann fing die Zahnbürste an, übereifrig zu schrubben. Die Zuschauer*innen im Studio lachten und applaudierten. „Simone Giertz, everybody!“, rief Stephen Colbert in die Kamera.
Ich wusste zu dem Zeitpunkt nichts über die Makingszene. Aber ich war begeistert von dem charmanten Auftritt von Simone Giertz. Wer ist sie? Und was hat es mit diesen Maschinen auf sich? Eine kurze Recherche ergab: Simone Giertz ist eine schwedische Erfinderin – und zwar von ulkigen, ständig versagenden Robotern. Ihr Spitzname ist „Queen of Crappy Machines“. Auf ihrem YouTube-Kanal verfolgen Millionen Menschen ihre Videos über einen Popcorn-Helm, einen Applaudierer oder einen Alles-Zerstörer. Gleichzeitig fragte ich mich auch: Warum baut sie Dinge, die „crappy“ sind, und daher irgendwie nutzlos? Wozu soll das gut sein?
Ein paar Jahre später, es ist Anfang 2023. Als Vorbereitung auf meine Arbeit bei Make Your School recherchiere ich und finde auf YouTube viele Videos von Maker*innen und Tüftler*innen mit ihren Erfindungen und Hacks. Mein Nerd-Herz geht auf bei Allen Pan und wie er Thors Hammer nachbaut, oder bei der deutschen Makerin AchNina und wie sie Baby Yoda hackt. Auch absolut grandios: die Musik-Murmelmaschine von Wintergatan.
Maker Faire: Spielwiese für Erwachsene
Unter den vorgeschlagenen Videos auf YouTube ist auch eine Reportage von Arte TRACKS über die Maker Faire, die Veranstaltungsreihe schlechthin aus der Making-Community. In unbeschwerter Atmosphäre treffen sich hier Maker*innen, tauschen sich aus und präsentieren dem interessierten Publikum ihre Hacks. „Maker Faires gibt es inzwischen in über 70 Ländern, darunter auch in Deutschland. Entstanden ist das Konzept 2006 in der Bucht von San Francisco“, erzählt die Off-Stimme in der Reportage.
Die Reporterin besucht den Journalisten Mark Frauenfelder. Er hat die erste Maker Faire auf die Beine gestellt. Zu Hause zeigt er ihr ein kleines selbst gebautes Spielzeug, das aussieht wie ein Käfer mit Malstiften als Käferbeine. Dann legt er das Gerät auf ein großes gelbes Blatt und schaltet es an. Es wackelt hin und her, rotiert und malt kleine bunte Striche. „Das Ergebnis sieht dann so ähnlich aus wie Jackson Pollock“, schmunzelt Frauenfelder. Er sagt: „Ich kreiere gerne Dinge, die keinerlei Nutzen haben.“ Diese pure Freude an kreativen Spielereien unabhängig ihres Nutzens erinnert mich an Simone Giertz.
Darüber hinaus geht es aber auch um konkrete Problemlösungen. Als kostengünstige Geräte wie 3D-Drucker oder Lasercutter auf den Markt kamen, Designer-Tools als Freeware angeboten wurden und die Sharing-Mentalität im Internet sich verbreitete, wuchsen auch die Möglichkeiten für die Makingszene. Maker*innen konnten zu Hause oder gemeinsam in Werkstätten technisch ausgeklügelte Objekte entwickeln und bauen. Und plötzlich geht es nicht mehr um ein Spielzeug, das Striche und Punkte malt, sondern es werden Prothesen, Roboter und Apps in Eigenregie hergestellt, die mit den Produkten von Tech-Unternehmen konkurrieren können. „Die richtige Antwort für jedes Problem zu finden. Darum geht’s. Wir kaufen Sachen im Handel, setzen sie neu zusammen und finden Problemlösungen mit selbst gebastelten Dingen. Neues bauen, das ist doch einmalig“, beschreibt es ein Maker auf der Maker Faire.
Wie aus Kindern Maker*innen werden
Weitere Beispiele von Maker*innen – einige veränderten mit ihren Erfindungen die Welt – stellt Ingenieurprofessorin AnnMarie Thomas in ihrem TedxTalk „Making Makers“ vor. Sie geht der Frage nach, wie aus ihnen Maker*innen wurden und sucht nach Motivatoren in der Kindheit.
Da ist zum Beispiel Susan: Ihre Söhne wollen einen schnelleren Schlitten haben als der des Nachbarn. Statt ihre Bitte abzulehnen, setzt sich Susan mit ihnen hin. Sie stecken die Köpfe zusammen, sprechen über physikalische Gesetze und überlegen, wie sie den Schlitten smart umbauen können. Diese Söhne, den Making-Spirit der Mutter tragend, bauen später als Brüder Wright die ersten Motorflieger der Welt. „I hope that we are giving today’s kids the skills and tools – both literal and figurative – that they need to turn their dreams into reality (…) I hope that some of the challenges today, the big challenges the world faces today and tomorrow, are going to be solved by someone today still is a little kid.“1
Make Your School auf YouTube
„Tools“ und „Skills“ – das wollen auch wir von Make Your School den Jugendlichen mitgeben. Problemlösungskompetenz und Selbstwirksamkeitserfahrungen – das sind die Kerngedanken hinter den Hackdays. Mit unseren Partner*innen und Lehrkräften motivieren wir die Schüler*innen, gemeinsam Probleme zu analysieren, über Lösungswege nachzudenken und Prototypen zu bauen. Einen Prototyp, der im Rahmen dieser Hackdays entstanden ist, können Interessierte übrigens nachbauen: Auf unserem YouTube-Kanal gibt es in Zusammenarbeit mit Creators Collective ein Erklärvideo zu einem Papierkorb-Hack, der jedes reingeworfene Papierknäuel zählt. Außerdem finden sich hier auch Tutorials zu den einzelnen Bauteilen.
Das ist erst der Anfang. Ganz im Sinne der Makingszene, Wissen und Knowhow zu teilen, möchten wir hier bald noch mehr Tutorials und Erklärvideos veröffentlichen. Bleibt gespannt!
Bleibt noch die Frage, die ich mir bei Simone Giertz gestellt habe: Wozu soll es gut sein, „crappy robots“ zu bauen? Diese Frage beantwortet sie selbst in ihrem grandiosen Tedtalk: „The true beauty of making useless things [is] this acknowledgment that you don’t always know what the best answer is“, sagt sie. „It turns off that voice in your head that tells you that you know exactly how the world works. Maybe a toothbrush helmet isn’t the answer, but at least you’re asking the question.“2
Übersetzung
1„Ich hoffe, dass wir den Kindern von heute die Fähigkeiten und Werkzeuge an die Hand geben – sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne – die sie brauchen, um ihre Träume zu verwirklichen (…) Ich hoffe, dass einige der Herausforderungen von heute, die großen Herausforderungen, vor denen die Welt heute und morgen steht, von jemandem gelöst werden, der heute noch ein kleines Kind ist.“
2 „Das wirklich Schöne am Basteln von nutzlosen Dingen [ist] die Erkenntnis, dass man nicht immer weiß, was die beste Antwort ist“, sagt sie. „Es schaltet die Stimme in deinem Kopf aus, die dir sagt, dass du genau weißt, wie die Welt funktioniert. Vielleicht ist ein Zahnbürstenhelm nicht die Antwort, aber zumindest stellst du die Frage.“